Entscheide dich (nicht)

Es gibt Wochen – ach, sogar Tage – an denen stelle ich mich mit unterschiedlichen Job-Titeln vor. Keiner davon ist gelogen, alle sind wahr. Ich bin Grafikerin, ich bin Redakteurin, ich bin Autorin, ich bin Illustratorin, ich fotografiere und spreche auch mal auf Bühnen. Die Posten auf meinen Rechnungen klingen wie das Leben von mehreren Personen. Mehr als einmal ernte ich irritierte Blicke, wenn im Gespräch rauskommt, was ich sonst noch so mache. Je nach Personenkreis überlege ich: Welches Talent sollte ich highlighten? Was passt hier am besten hin? Wenn ich alles erwähne, fühlt es sich an, als würde ich angeben oder das Gegenüber langweilen mit einem Monolog über mich. 

Also lande ich meist bei „Ich bin Grafikerin und Redakteurin.“, während Freund*innen von irgendwo dann noch hinterher rufen „Und Autorin! Sag, dass du Autorin bist!“ Immer wieder kommt die Stimme im Kopf, die schreit „Entscheide dich doch einfach für eine Sache?! Was zur Hölle ist dein Problem?“ 

Dabei funktioniert mein Kopf so nicht. Ich möchte vieles Können, ich will einiges ausprobieren und das meiste dann fest in meinen Alltag integrieren. Tätowieren, Beats produzieren, Häkeln, Nähen, Sprühen, Stylen, Schmuck designen, die Liste ist endlos. Außerdem kann ich viel über Zimmerpflanzen erzählen, Monologe über Rap, mentale Gesundheit oder Feminismus halten und das Ganze manchmal dann auch noch in Verbindung mit Mode, Hexenverbrennung und dem Zyklus bringen. Auf die Frage „Wenn du dich entscheiden müsstest, was würdest du machen?“ habe ich seit Jahren keine Antwort, denn ich möchte alles. Wenige der Themen verschwinden, doch sie tauchen immer wieder in Wellen auf und werden kurz von neuen verdrängt oder miteinander verbunden. Die Monetarisierung der Interessen ist dabei nie das Ziel oder der führende Impuls. Es geht ums Machen, Lernen und Ausprobieren.

ADHS? Persönlichkeit? Oder einfach nur unentschlossen?

Das Internet und die Wissenschaft nennen das „Multipassionate Person“, „Scannerpersönlichkeit“ oder „Multi-Potential-Persönlichkeit“. Diese Personen haben unterschiedliche kreative Fähigkeiten, Interessen und Projekte aus verschiedenen Bereichen. Es sind Tausendsassa, die sich vielem widmen, Profi in keinem Bereich sind und gleichzeitig in kurzer Zeit zu Expert*innen in dem von ihnen forcierten Bereich werden. Gleichzeitig sehen sie ihr Wissen und die Leistung kritisch an und wollen keine Hochstapler*innen sein.

Das alles klingt mehr als vertraut für mich: Als Kind habe ich Bücher über Hunderassen von vorne bis hinten durchgelesen, war verrückt nach Büchern, die je einem Thema gewidmet waren: Das Wetter, Pharaonen oder Planeten. Ich wollte alles aufsaugen. Das ist ein Bedürfnis, das ich bis heute noch habe. Deshalb ist es für mich so fremd, wenn Leute sich für nichts interessieren. Wie du hast kein Hobby? Es gibt nichts, was dich interessiert? Worüber du noch mehr wissen willst? Und dann sagst du mir noch, wie langweilig dir ist? Das ist ein Modus, der existiert bei mir nicht. Nie.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich immer das Gefühl, dass mir die Zeit für alles fehlt. Ich habe einige angefangene Projekte, Ideen, die seit Jahren in meinem Kopf rumschwirren oder die teilweise schon angefangen wurden. Manche, bei denen ich weiß, dass ich die Kapazitäten aktuell nicht habe um sie umzusetzen und manchmal ist es so, dass ich einen Skill gerne beherrschen möchte, aber doch nicht so begeistert davon bin, dass ich es lernen will. Während weitaus komplizierte Skills mir spielend von der Hand gehen. Denn steuern, wofür ich mich interessiere und was mein Hyperfocus für die nächsten Stunden, Tage oder Wochen wird, kann ich leider nicht.

An manchen Tagen stresst es mich, an anderen Tagen liebe ich es. Denn wie kann es so ermüdend und gleichzeitig der größte Energieboost sein? All die Ideen, kreative Projekte, Skills, die man lernen könnte, Themen über die man nie genug erfahren kann, tausend Tabs, die geöffnet sind und unzählige Listen mit Stichworten, Namen und Unterkategorien. Ich habe ein Problem damit, das als eine Schwäche anzusehen. Schon immer reagiere ich allergisch auf die Aussage „Mach nur eine Sache und mach die richtig.“ 

Vielleicht auch gar nicht so schlimm?

Über die Jahre habe ich verstanden, dass ich dadurch sehr schnell Zusammenhänge erkennen und Verbindungen aufzeigen kann. Mir fällt es leicht, verschiedene Perspektiven einzunehmen und zu bedenken, sowie komplexe Zusammenhänge einfach runterzubrechen. Mein Wohlbefinden hängt davon ab, dass ich immer mehr lernen und ausprobieren darf. Ich kann gut Anfängerin in Bereichen sein und gezielte Fragen stellen. Die Kunst dabei ist es, sich nicht zu verzetteln, abzubrechen, wenn es am meisten Spaß macht und ehrlich zu mir selbst zu sein, damit ich nicht ausbrenne. Ich weiß, welchen Impulsen ich vertrauen kann und nachgehen sollte und welche nur Funken sind, die nur schön in der Vorstellung sind.  Meine vielen Interessen sind nicht schwach und mangelnde Entscheidungsfähigkeit, sondern einfach meine Persönlichkeit, die mehr als okay so ist, wie sie ist. Ist diese Wissbegierde und dieser nie endende Strudel von Lernzyklen gesund? Bin ich deshalb ein Vorbild? Definitiv nicht. Doch es wäre genauso ungesund für mich, all den Impulsen nicht nachzugehen.

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Irgendwas mit Kunst